Rosa Andraschek.
Rosa Andraschek, die sich für historische Strukturen, Institutionen und Orte der Machtausübung interessiert, widmet sich vergangenen und aktuellen Schauplätzen hegemonialer Gewalt. Ihr Augenmerk gilt den Geschichten und kontingenten Ereignissen, die sich hinter den scheinbar harmlosen und alltäglichen Sujets ihrer Fotos verbergen.
Landschaftsbilder, in Einzelbilder zerlegt, wie Postkarten, wechseln einander ab
Ausstellung
Finissage | Rosa Andraschek wird Dienstag, 19. April und Mittwoch, 20. April 2022 von 17:00 - 19:00 Uhr vor Ort sein - Fragen, Anregungen und weiterführende Gespräche sind willkommen.
Ausstellungsdauer | Samstag, 5. März bis Mittwoch, 20. April 2022
Öffnungszeiten | jeweils Donnerstag - Samstag, 15:00 - 19:00 Uhr und nach Vereinbarung unter Einhaltung der Covid-19 Schutzmassnahmen.
In Österreich gibt es rund 5000 Kriegerdenkmäler zum Gedenken an im Ersten und Zweiten Weltkrieg gestorbene Soldaten. Sie besitzen im Gegensatz zu Denkmälern und Erinnerung an verfolgte, vertriebene und ermordete Personen einen besonderen Stellenwert hinsichtlich Quantität, Pflege, Erhaltung und Verortung. Unzählige unbekannte Orte an denen Verbrechen begangen, an denen eine unbekannte Anzahl von Menschen ermordet wurden, sind weder im öffentlichen Gedächtnis präsent noch durch ein Erinnerungszeichen sichtbar gemacht.
Kriegerdenkmäler liegen meist prominent im Ortskern, auf Haupt- oder Kirchplätzen. Manchmal existieren zusätzlich Erinnerungszeichen in Form von Kriegsgräbern auf Friedhöfen, in denen neben Wehrmachtssoldaten auch Häftlinge aus Konzentrationslagern begraben liegen.
In den Fotografien wird der Blick von den vermeintlichen Helden abgewandt, das Fotomotiv des Kriegerdenkmals dezentralisiert. Die Geste des Abfrottierens der Namen von Kriegsgräbern auf denen auch Wehrmachtssoldaten stehen, stellt im Gegensatz dazu eine Sichtbarmachung dar. Die Gravur der Namen verfolgter, vertriebener und ermordeter Personen erscheint beim Abreiben wieder auf der Papieroberfläche.
Kriegerdenkmäler: Relikte der NS-Zeit
In der zweiten Hälfte der 1940-er Jahre dominierte zunächst das antifaschistische Widerstandsgedenken, das instrumentalisiert wurde, um Österreich als Opfer des deutschen Nationalsozialismus darzustellen und den mangelnden Beitrag zur Befreiung zu kaschieren. Doch schon bald wurde Widerstandsgedenken zur Sache der “Kommunisten” und Widerstandskämpfer_innen wurden als Verräter_innen diffamiert. Noch vor dem Abschluss des Staatsvertrages wurde Pflichterfüllung bis zum Tod beispielhaft für ehrenvolles Handeln, das Gefallenengedenken zur identitätsstiftenden Erinnerungskultur und Kriegerdenkmäler zur Norm kollektiven Erinnerns. Heute gibt es rund 5000 Kriegerdenkmäler — neu errichtet oder als Erweiterungen der Denkmäler des Ersten Weltkrieges — verteilt über die nur 2093 Gemeinden Österreichs.1
Träger dieser Gedenkkultur war und ist der Österreichische Kameradschaftsbund (ÖKB). In den Nachkriegsjahren als “Heimkehrerbund” wiedergegründet. Um den Kreis möglicher Mitglieder zu erweitern wurden in den 1960er Jahren die ersten Soldaten der Zweiten Republik aufgenommen und seit den 1990er Jahren können auch Frauen vollwertige Mitglieder werden. Eine erfolgreiche Stategie, denn mit mehr als 250.000 Mitgliedern in neun Landesverbänden und rund 1.800 autonom organisierten Orts- und Stadtverbänden ist der ÖKB die mit Abstand größte wehrpolitisch relevante Organisation Österreichs und hat mehr Mitlieder als die SPÖ (ca. 160 000), die FPÖ (60.000), die Grünen (7000) und die NEOS (2700) zusammen. Sein politischer Einfluss ist ob seiner Größe beträchtlich.
“Wir haben uns von der Schicksalsgemeinschaft der Kriegsteilnehmer zur Wertegemeinschaft der Gegenwart gewandelt und wir sind trotz aller gravierenden gesellschaftlichen Änderungen dem ursprünglichen Sinn der Veteranenvereine treu geblieben.” 2 Kameraden, Kriegerdenkmäler, Kriegsgräber, Vaterland und das berühmt-berüchtigte Wort “Heimat” sind die Kernbegriffe des ÖKB. Auch wenn sich das Bild der Wehrmacht seit der Ausstellung “Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944”, die ab 1995 von mehr als einer Million Besuchern in über 30 deutschen und österreichischen Städten besucht wurde, diametral von einer “sauberen Wehrmacht” zu einer Organisation, die tief in den NS-Vernichtungskrieg verstrickt war, gewandelt hat: Der ÖKB negiert noch immer die geschichtlichen Tatsachen.
Vergessene Opfer
Dieses “Heldengedenken” schließt die Erinnerung an die Opfer der NS-Militärjustiz natürlich noch immer aus. Denkmalsinitiativen scheitern bis heute immer wieder an Institutionen und Akteuren, die Österreich nach 1938 als Opfer nationalsozialistischer Politik sehen und gleichzeitig den besonderen Charakter des Zweiten Weltkriegs als Angriffs- und Vernichtungskrieg verleugnen. Viel zu wenig ist über lokale Initiativen zur öffentlichen Rehabilitierung der Deserteure bekannt.
Erst seit 2014 gibt es in Österreich mit dem sogenannten “Deserteursdenkmal” am Wiener Ballhausplatz einen Ort, an dem in angemessener und kollektiver Form an die Leiden und Handlungen derjenigen Männer und Frauen erinnert wird, die von der NS-Militärjustiz verurteilt wurden. Vor 2014 — und damit 69 Jahre nach Gründung der Zweiten Republik — waren verschiedene Denkmalsinitiativen Einzelpersonen gewidmet, nur temporär und auf meist abgelegenen Orten platziert. Sie beziehen sich also nicht auf das Gruppenschicksal der Verfolgten; einige Denkmäler erwähnen nicht einmal, dass es sich bei den genannten Personen um Opfer deutscher Militärgerichte handelte; andere Initiativen konnten nicht erfolgreich zu Ende geführt werden oder waren von vornherein nur als temporäre Aktionen geplant. 3
Kriegerdenkmäler und Kunst
Seit den 1970er Jahren gibt es Versuche, Kriegerdenkmäler mit Mitteln der Kunst oder im Rahmen politischer Aktionen “zu entschärfen”4.
Im Zuge des Subkulturfestivals “Ausnahmsweise Oberwart” wurde dem Kriegerdenkmal dieser südburgenländischen Bezirkshauptstadt ein temporäres Denkmal für Sinti_zze und Rom_ja zur Seite gestellt. Nachdem Peter Wagner, einer der Initiatoren, auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen war, vom Bürgermeister die Erlaubnis für die Aktion zu erhalten, wurde die Denkmalsattrappe schon in der ersten Nacht mit weißer Farbe übergossen. Die Veranstalter erstatteten Anzeige gegen Unbekannt bei der örtlichen Gendarmerie. Obwohl die Täter in einem bekannten Lokal ihre Tat prahlerisch feierten, wurde niemand jemals zur Verantwortung gezogen. Menschen, die mit der Methode des “Gegendenkmals” die Erinnerung an die in den Konzentrationslagern ermordeten Oberwarter Roma lebendig lassen wollten, galten damals bestenfalls als Spinner.
Im November 1989 bemerkte der Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner, dass auf dem Salzburger Kommunalfriedhof am 1. November jeden Jahres ein stattlicher Kranz vor dem Kriegerdenkmal mit der Aufschrift “Unseren gefallenen Kameraden der Waffen-SS” abgelegt wird. “Der Bischof geht voraus, die FPÖ marschiert hinterher”, notierte Kastner. Aus Protest schnitt er einfach die Schleife ab — erstmals 1994, dann in den Jahren 1999, 2001, 2003, 2004 und 2005: “… in der Hoffnung, den gefährlichen Irrsinn so sichtbar zu machen, dass er endlich unterbunden wird.” Die SS-Mannen erstatteten Anzeige gegen den Aktionskünstler. Alle Strafverfahren wegen Sachbeschädigung wurden in Österreich eingestellt. Dagegen fand ein deutscher Staatsanwalt im Jahr 2005 von sich aus ein besonderes deutsches Strafverfolgungsinteresse wegen des Scherenschnitts von 2003. Ein deutsches Amtsgericht verurteilte Kastner wegen Sachbeschädigung. Dagegen legte er Revision ein. Das zuständige bayerische Oberlandesgericht bestätigte im Februar 2006 das Urteil und beschloss, dass die SS-Kranzschleife eine Sache wie jede andere und durch das Eigentumsgrundrecht geschützt sei.
In der oststeirischen Gemeinde Pöllau verunziert das Kriegerdenkmal einen Innenhof des Stiftes. In einem Trakt des Stiftes hat der Maler Josef Schützenhöfer sein Atelier. Er schlägt nicht vor, das Kriegerdenkmal abzutragen, stattdessen arbeitet er an einem "Nachtrag“ zum Denkmal in Form von großformatigen Tafelbildern. Diese sollten im Zugang zum Kriegerdenkmal gehängt werden. Eines davon ist dem amerikanischen Piloten Harry Moore gewidmet, Mitglied der Besatzung des B-24-Bombers “Ramp Tramp”, der bei einem Absturz bei Pöllau ums Leben kam. Die Projektansuchen wurden nie beantwortet; stattdessen ließen Pöllaus SP-Bürgermeister Flicker und SP-Vizebürgermeister Hirschegger dem Maler via Wirthaustisch ausrichten, seine Initiative sei höchst unerwünscht. Die lokale SP-Spitze geht, so Josef Schützenhöfer, mit dem Kameradschaftsbund konform, was die nachhaltige Pflege des Feindbilds betrifft: “Hirschegger hat mir ins Gesicht gesagt, dass er die Amis als Gegner betrachte.” Schützenhöfers Abneigung gegen die Melange von österreichischem Patriotismus und deutschem Nationalismus, die die Heldendenkmalflut ideologisch begründet, ist schon in seiner Biografie angelegt. Während eines langjährigen Amerikaaufenthalts war der steirische Künstler und Querkopf temporär Zahntechniker der US-Navy — weswegen ihm die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde: Das Innenministerium konnte zwischen Bombe und Plombe nicht unterscheiden.
Wie geht man mit Kriegerdenkmälern zeitgemäß um?
Im 21. Wiener Bezirk steht an der Ecke Strebersdorfer Straße und Jedleseer Straße seit 1920 ein Kriegerdenkmal mit der Aufschrift “Den Helden. In deutscher Treue zum ehrenden Gedenken.” Nach dem Zweiten Weltkrieg fügte man dann noch die Worte “Zum Gedenken an die Opfer des zweiten Welt’krieges” hinzu. Außer den Bezirks-Grünen, die nach der Renovierung des Denkmals eine Anfrage bezüglich der Finanzierung stellten, stößt sich kaum jemand daran. “Die Renovierung hat ein privater Verein, zu dem sich Großjedlersdorfer Familien zusammengeschlossen haben, finanziert”, sagt der rote Bezirksvorsteher Heinz Lehner. “Da das Denkmal nichts mit Nationalsozialismus zu tun hat, sehe ich auch keine Veranlassung, es irgendwie zu verändern.”
“Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen.” 5 Nach dieser bahnbrechenden Grundsatzerklärung des deutschen Bundestages vom 15. Mai 1997 ist die Existenz von Kriegerdenkmälern prinzipiell prekär. Doch wie sollte man mit ihnen umgehen? “Die Auseinandersetzung ist entscheidend”, sagt die Wiener Historikerin und Grüne Parlamentarierin Eva Blimlinger. Eine Zusatztafel allein ändere aber wenig. So habe es im Falle des Siegfriedkopfes nichts gebracht, ihn von der Aula der Uni-Wien in den Arkadenhof zu verlegen: Die deutschnationalen Burschenschafter versammeln sich noch immer dort. 6
Krieger, Gefallene, Vermisste – Helden oder Opfer? Nicht jeder deutsche oder österreichische Wehrmachtssoldat trägt Schuld an den Verbrechen der Wehrmacht. Viele waren eben keine Helden, sondern wurden benutzt und verbraucht in einem Krieg, der gar nicht in ihrem Sinn war. Eine Aussage, die auf Soldaten in allen Kriegen zutrifft: Jene, die Verbrechen entworfen, befohlen oder begangen haben, lassen sich nur schwer unterscheiden von jenen, die, vielleicht nicht freiwillig, Befehle befolgt und im Rahmen ihrer eigenen Grausamkeit interpretiert haben. Die Ehrung der Beteiligten, gleichgültig ob in ihren einzelnen Handlungen verbrecherisch oder nicht, legitimiert die “Opferung” von Millionen von Menschen.
Daher die simple Frage: Warum soll man die Verbrecher, die Mitläufer und auch die unfreiwillig Beteiligten gemeinsam ehren, und wofür? Für die Beteiligung? Für die Unterlassung von Widerstand? Für die Verbrechen?